Das Ende wahrer Freiheit?


Was in den vergangenen Jahrzehnten für zivilisierte westliche Länder unvorstellbar erschien, wird in den letzten Jahren immer mehr zur Wirklichkeit: eine schleichende Einschränkung von wirklicher Gewissensfreiheit, verbunden mit der Tendenz zu mehr oder weniger offen versuchter Manipulation des Gewissens, was natürlich vor allem auch Christen zu spüren bekommen, die für bestimmte Grundwerte des Lebens (z.B. Thema Abtreibung, Tötung von Alten und Kranken usw.) oder des Zusammenlebens (Thema Familie, Erziehung usw.) eintreten.
Letztlich geht es um eine immer deutlicher hervortretende Vernunft-Feindlichkeit, die im Namen von angeblicher „Gleichstellung“ in quasi totalitärer Weise den Menschen vorschreiben möchte, nur noch dort über richtig oder falsch, über gut oder schlecht, über sittlich oder böse die Meinung äußern zu dürfen, wo es von einer staatlichen oder übernationalen Instanz „erlaubt“ worden ist. In den anderen Bereichen habe der Mensch alles als gleich-wertig zu „akzeptieren“.
Man sieht, es kann hier von „Gleichstellung“ im wahren Sinn des Wortes gar nicht die Rede sein, weil gerade sie die Freiheit zur sittlichen Erörterung von Lebenshaltungen im Sinne der Wahrheit und der Vernunft beinhalten müsste!
Von der Meinungsfreiheit ist hier unter - nicht ehrlicher, weil nur einseitig gelten lassender -Verwendung von Schlagworten wie „Akzeptanz“ oder „Gleichheit“ der Weg recht kurz zu einer Meinungsdiktatur, der sich inzwischen offenbar auch Gerichte unterwerfen (müssen?).
Die katholische Politikerin Christine Boutin, seit 1986 Abgeordnete zur Französischen Nationalversammlung, unter Staatspräsident Sarkozy (UMP) 2007 – 2009 Ministerin für Wohnungs- und Städtebau, dann 2009 – 2013 Vorsitzende der von ihr mitgegründeten Christdemokratischen Partei (PCD) und seither deren Ehrenvorsitzende, wurde kürzlich von einem Pariser Gericht zur Zahlung einer Geldstrafe von 5000 Euro und zur Zahlung von weiteren 2000 Euro an zwei Homo-Organisationen verurteilt, die sie gar nicht genannt hatte.
Der Grund: Im April 2014 wurde von der Zeitschrift Charles ein Interview mit ihr veröffentlicht, in dem sie auf einige Aussagen der Heiligen Schrift verwies, die praktizierte Homosexualität als Sünde gegen Gottes Gebot darstellt (vgl. Sodom und Gomorrha Gen. 19,1-29, Röm. 1,24-27, 1 Kor. 6,9-10, 1 Tim. 1,10), was auch die katholische Kirche lehrt.
In dem Interview hatte die Politikerin ausdrücklich gesagt: „Ich habe nie einen Homosexuellen verurteilt. Die Homosexualität ist ein Gräuel, nicht der homosexuelle Mensch. Die Sünde ist nicht akzeptabel, doch der Sünder ist immer anzunehmen“.
Trotz dieser grundsätzlich andere Menschen nicht verurteilenden, nur das Wohl der Mitmenschen anstrebenden, christlichen Haltung hat das Oberlandesgericht von Paris das Urteil der ersten Instanz nun bestätigt.
Das Urteil wird nicht nur in Frankreich als schwerer Angriff gegen die Glaubens- und Meinungsfreiheit gesehen. Denn es macht freie Äußerungen von Menschen zu ihrem Glauben und damit auch Überlegungen oder Äußerungen zu Gut und Böse, zu Fragen, ob etwas heilbringend oder verderblich ist, ob es Gottes Willen und den Forderungen der Vernunftnatur des Menschen entspricht oder nicht, nicht mehr möglich.
Damit hat „die Ära der Christenfeindlichkeit gegen jene Katholiken begonnen, die noch die Heilige Schrift zitieren … Christen können gar nicht anders, als sich auf die Heilige Schrift zu berufen. Die Zeit der Katakomben rückt näher“ schreibt die Zeitschrift „Corrispondenza Romana“.
Die Politikerin zeigte sich schockiert über das Urteil, das letztlich eine neue Form von Gesinnungsjustiz darstellt, will aber weitere Rechtsmittel ergreifen.
International werden in immer mehr Staaten im Namen von angeblichen „Antidiskriminierungs- oder Gleichstellungsgesetzen“ und Genderlehrplänen Voraussetzungen für eine solche Art von Meinungsdiktatur geschaffen, die in Wahrheit nicht nur die Erwachsenen, sondern sogar auch schon Kinder „diskriminiert“ und bestraft, wenn sie es wagen, sich für sittliche oder christliche Grundhaltungen einzusetzen.
Diese immer weiter um sich greifende Gesinnungsdiktatur will alle Menschen schon vom Kindergarten an dazu zwingen, alle (un)möglichen und unsittlichen Lebensweisen von vornherein nicht nur zu tolerieren, sondern sie zu „akzeptieren“, das bedeutet, sie beklatschen und gutheißen zu müssen. Der Mensch soll nach dieser letztlich totalitären Ideologie, die nach UN-Plänen jedoch weltweit durchgesetzt werden soll, nicht mehr eigenständig zwischen gut und böse, sittlich oder unsittlich unterscheiden dürfen. Was er als gut oder böse zu befinden hat, wird ihm ab jetzt von internationalen oder staatlichen Instanzen vorgeschrieben.
Wenn es aber in einer Gesellschaft nicht mehr möglich ist, Lebenshaltungen und -weisen entweder gut oder schlecht zu finden, dann ist den Menschen die Möglichkeit des Hinterfragens von Normen und jede kritische Auseinandersetzung über falsch und richtig, sinnvoll oder unsinnig, lebensfördernd oder lebenszerstörend, gut oder böse, sittlich oder unsittlich usw. genommen.
Damit wird aber die Vernunftnatur des Menschen geleugnet und unterdrückt. Sie ist es aber, die den Menschen zum Menschen, zum Ebenbild Gottes und zu einem sittlich verantwortlichen Wesen macht. Nicht nur der einzelne Mensch, sondern auch die Lenker von Staaten sind als Vernunftwesen ver-antwortlich, d.h. sie tragen eine sittliche Verpflichtung in sich, das Gute zu fördern und nicht das Schlechte.
Ein Staat, der diese Verpflichtung grundsätzlich nicht mehr anerkennt, sondern alles, Sittliches wie Unsittliches, Gutes wie Böses, gleichermaßen „akzeptieren“ und fördern will, könnte gar keine Gesetze mehr erlassen und würde sich als Staat somit selbst aufgeben. Ebenso würde und müsste notgedrungen der einzelne Mensch in einer solchen Haltung darauf verzichten, als Vernunftwesen zu existieren.
Die traditionelle katholische Staatslehre betont deshalb seit jeher die sittliche Verpflichtung des Einzelnen wie des Staates gleichermaßen und begründet damit auch das Recht des Staates, Gesetze zum Wohl der Allgemeinheit und zur Abwendung von Schaden zu erlassen. Das Augenmerk muss dabei darauf liegen, dass der Staat die optimalen Voraussetzungen für das Gelingen des sittlichen Lebens der einzelnen Menschen schaffen soll.
Der Staat kann die Menschen dabei zwar nicht zur Sittlichkeit, erst recht aber auch nicht zur grundsätzlichen „Akzeptanz“ von Unsittlichkeit oder zur Aufgabe der Vernunftnatur zwingen, weil Menschen immer frei sind und damit eine unmittelbare Verantwortung der theoretischen wie praktischen Wahrheit gegenüber tragen, die kein Mensch, auch kein Staat, einfach für andere übernehmen kann.
Auch die Regierenden müssen die dem Menschen vom Schöpfer geschenkte Freiheit und Vernunft achten. Sie sind verpflichtet, die Menschen durch die staatlichen Gesetze und Rahmenbedingungen in ihrer Sittlichkeit zu fördern, aber sie können und dürfen sie nicht „vergewaltigen“. Sie würden damit den Rahmen, der die zwischenmenschliche Vernunftbeziehung bestimmen soll, überschreiten und zerstören.
Der Staat muss sich bewusst bleiben, dass er nie der eigentliche und oberste Schöpfer von Recht und Gerechtigkeit ist oder sein kann, sondern dass alles Recht und auch die Gerechtigkeit immer nur vom absoluten und damit von Gott gegebenen Gebot der Liebe begründet werden kann, welches Gebot alles Menschliche übersteigt und so auch die irdische Macht reguliert und begrenzt und sie auch begrenzen muss.
Eine vernunftwidrige Sicht von Meinungs- und Religionsfreiheit wäre es auch zu meinen, den Staat wie auch den einzelnen Menschen von jeder Verpflichtung zur Bemühung um Sittlichkeit entbinden zu können, um so – scheinbar - vollkommene „Neutralität“ zu garantieren.Würde sich ein Vernunftwesen, aber also eine Gesellschaft als Ganzes, in diesem Sinn scheinbar völlig „wertneutral“ verhalten wollen und Grundwerte wie Gerechtigkeit und Wahrheit nicht mehr verteidigen, dann würde man letztlich nur die den wahren Werten entgegenstehenden Anti-Werte und Anti-Werthaltungen übernehmen und fördern, wäre also alles andere als „wertneutral“. Neutralität ist immer nur als Funktion der Gerechtigkeit, also in einer absoluten Grundwerthaltung, sittlich.
In Frankreich wurde jetzt im November 2016 eine Verfügung erlassen, die die Ausstrahlung des Kurzfilms „Dear Future Mum“ („Liebe künftige Mami“) verbietet, in der 15 Kinder mit Down-Syndrom ihre positive, sonnige und soziale Lebenseinstellung zum Ausdruck bringen – und damit indirekt auch für „Akzeptanz“ für Behinderte in der Gesellschaft werben.
Warum wird dies plötzlich nicht toleriert? In einer Gesellschaft angeblicher „Gleichheit“ ohne Anerkennung wahrer und absoluter Forderungen der Sittlichkeit drohen immer auch die Gerechtigkeit und Wahrheit und damit auch die Menschlichkeit unterzugehen! Wo keine absoluten Werte mehr anerkannt und verteidigt werden, kommt es zu einer kalten Herrschaft der „Mächtigen“. Und es werden die Schwächsten gewöhnlich als Erste Opfer der nunmehr angeblich „wertneutralen“ Herrschaft der Stärkeren: Aktuell werden 90 Prozent der Kinder nach der Diagnose „Down-Syndrom“ abgetrieben.
Auf Youtube wurde der Kurzfilm aus dem Jahr 2014, der beim Festival der Kreativität in Cannes sechs Löwen gewonnen hat, mehr als sieben Millionen Mal angeschaut. Er wurde in verschiedenen Ländern auch im Fernsehen gezeigt, darunter auch in französische Kanälen wie M6, Canal + und D8, bis der Conseil supérieur de l’audiovisuel (CSA) den Film als ungeeignet einstufte, weil angeblich keine „Botschaft von allgemeinem Interesse“ vermittelt werde.
Menschen mit Down-Syndrom und verschiedene Organisationen legten beim Staatsrat gegen diese Zensur Rekurs ein. Der Staatsrat lehnte nun nach zwei Jahren diesen Einspruch ab mit der Begründung, der Film, der glückliche Menschen mit Down-Syndrom zeigt, könnte „das Gewissen der Frauen stören …, die im Rahmen des Gesetzes sich für andere Optionen des persönlichen Lebens entschieden haben“. Die Darstellung im Film könnte also „zweideutig erscheinen“, weil er nicht die Möglichkeit der Frau zur Abtreibung erwähnt!?
Empört über das Staatsratsurteil beklagt die Stiftung Coor Down, die den Kurzfilm veröffentlichte und verbreitete, dass dadurch Menschen mit Down-Syndrom das Recht auf Meinungsfreiheit verweigert werde. Jeder Mensch dürfe seine Freude am Leben zum Ausdruck bringen. „Auch die Menschen mit Down-Syndrom haben ein Recht, glücklich zu sein, und das zum Ausdruck bringen zu dürfen.“ Die Entscheidung des CSA und das Urteil des Staatsrats „verletzen die Artikel 8, 10 und 21 des UNO-Behindertenrechtskonvention von 2006", so die Stiftung.
Weil der moderne, angeblich „aufgeklärte“ Mensch Vernunft nicht mehr als „Vernehmen“ von Wahrheit im transzendenten und damit absoluten Sinn, sondern nur noch quasi als menschliche „Schlauheit“ akzeptieren will, die ja sowohl sittlich wie unsittlich denkbar ist, verfällt er letztlich der Unvernunft und kann ihr auch nichts mehr entgegensetzen. Gerechtigkeit, Wahrheit und Menschlichkeit bleiben auf der Strecke.
Der so konzipierte moderne, angeblich „wertneutrale“ „Rationalismus“ ist daher keine Förderung der Vernunft, sondern eine Verbannung von wahrer Vernunft und Menschlichkeit aus den Köpfen der Menschen und aus der Gesellschaft, weil er die Vernunft nicht mehr sich selbst übersteigend hin zum Absoluten ausgerichtet sieht, sondern sie willkürlich einsperrt in den Käfig menschlicher Voreingenommenheit und damit auch menschlicher Engstirnigkeit, für die es dann auch nichts mehr wahrhaft Gutes und Schönes, ja auch nichts absolut Wert-volles mehr geben kann. Denn die Erkenntnismöglichkeit von Werten oder von absolut fordernder Güte, die sich aus sich selbst heraus als vernünftig in ihrer Klarheit und in ihrer transzendenten Vollkommenheit, Schönheit und Wahrheit rechtfertigt, wird in dieser ideologischen Sichtweise ja von vornherein abgelehnt. Nur eine transzendente, die absolute (also von Gott kommende) Forderung des Guten berücksichtigende, Haltung kann gegen sittlichkeits-, gerechtigkeits- oder wahrheitsgefährdende Tendenzen schützen. Denn sie erlaubt es dem Staat auf keinen Fall, von seinen Bürgern einzufordern, Unsittliches, Ungerechtes oder Unwahres zu „akzeptieren“ oder gutzuheißen, was auf eine Unterhöhlung der sittlichen Verfasstheit des Staates und des geordneten Zusammenlebens hinauslaufen würde.
Dem Gewissen kommt nach christlicher Sicht somit eine enorme Bedeutung zu, da in ihm die Stimme Gottes und somit auch die Stimme wahrer Vernunft vernehmbar ist. Gewissen heißt also nicht Willkür, sondern bedeutet Verantwortung gegenüber diesem „Wissen“, also gegenüber Gottes Willen und gegenüber dem Vernehmen der um Wahrheit bemühten Vernunft, gegenüber der unbedingten Gültigkeit der Forderung des Guten und des Wahren! Eine solche Auffassung von Gewissensfreiheit dient dem Leben des Einzelnen wie auch dem gedeihlichen und friedlichen Zusammenleben in einer Gemeinschaft.
Von daher gibt es eine eindeutige und klare christliche Begründung wahrer Gewissensfreiheit im Staat, die seit den Tagen der Apostel von der Kirche mit Nachdruck gelehrt wurde: „Man muss Gott mehr gehorchen als den Menschen“ (Apg. 5,29), was Jesus noch allgemeiner formuliert hat: Gebt Gott, was Gottes ist, und dem Kaiser, was des Kaisers ist (vgl. Mt. 22,21).
Wenn von einem „Recht“ auf Gewissens- und Religionsfreiheit gesprochen wird, dann muss in christlicher Sicht immer auch hinreichend klar gemacht werden (das muss auch im Hinblick auf die Erklärung zur Religionsfreiheit auf dem „2. Vatikanischen Konzil“ festgehalten werden), dass es sich hier nicht um ein absolutes, von jeder Verpflichtung des Staates und des Einzelnen gegenüber der Wahrheit losgelöstes, Recht handeln kann, sondern nur um ein relatives, das dem Einzelnen wie dem Staat gegenüber auch die Forderungen der Wahrheit und der Sittlichkeit betont, die dem gedeihlichen Zusammenleben in der menschlichen Gesellschaft dienen und daher gefördert werden müssen. Wenn die Aufgabe des Staates nur noch in der Aufrechterhaltung der öffentlichen Ruhe gesehen wird, aber sonst keine sittliche, also transzendente und absolute Dimension mehr angesprochen wird, dann geht die wahre, christliche und lebensnotwendige Sicht von Mensch und Gemeinschaft verloren. Staat im christlichen Sinn kann nie sittlich völlig losgelöst oder wertneutral gedacht werden, staatliche Gesetzgebung ist immer auch an sittlichen Normen auszurichten und zu messen. Anders wird der Staat ein Machtgefüge, in dem die Stärkeren die Schwächeren beherrschen, wie wir es von vielen durch atheistische Ideologen beherrschten Staaten her ja zur Genüge kennen.
Die christliche Sicht des Staates und des Menschen ist daher immer von der sittlichen Vernunft her gedacht, also anti-totalitär und anti-ideologisch, weil sie den Menschen als Ebenbild Gottes und damit ver-antwortlich der absoluten Forderung des Guten gegenüber sieht. Die modernistische, „naturalistische“ oder atheistische Sicht des Staates lehnt die absolute Natur von Vernunft hingegen ab, ist also insofern vernunftwidrig und notwendig ideologisch, auch wenn sie sich propagandistisch meist als „aufgeklärt“ oder gar „rational“ zu geben bemüht.
Diese letztlich „unsittliche“ Sicht des Staates führt auch zu den totalitären Auswüchsen, wie wir sie heute erleben, dass der Staat wie die Gesellschaft meinen, alles sei im Sinn einer neuen Ideologie nun gleich-gültig und deshalb nicht nur zu tolerieren, sondern durch entsprechende Gesetzgebung auch von allen als „gleich-gültig“ anzuerkennen und zu „akzeptieren“!
Die Vernunft und die Forderungen der Wahrheit bleiben damit aber auf der Strecke, somit aber auch die Forderungen von wahrer Gerechtigkeit, die dem einzelnen Menschen zwar im mitmenschlichen Zusammenleben viele Formen von Toleranz abverlangt, aber nie gegen sein Gewissen „Akzeptanz“ und innere Gutheißung von Unsittlichem bedeuten kann!
Möge der Heilige Geist unsere Herzen erleuchten und stärken, damit wir auch in der Gesellschaft Zeugnis von der wahren Bestimmung des Menschen, aber auch von der wahren Aufgabe des Staates im Angesicht der sittlichen und vernunftgemäßen Wahrheit ablegen können!

Thomas Ehrenberger

 

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